Klar im Kopf - Knoten in der Zunge
Prof. Dr. Walter Huber
Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die nach einer Hirnschädigung auftreten kann (meist Schlaganfall, auch Kopfverletzungen nach Unfall, Tumor oder entzündlichem Gehirnprozess) und bedeutet übersetzt „Verlust der Sprache“.
Durch die Aphasie sind alle sprachlichen Fähigkeiten betroffen: Sprechen und Verstehen, Lesen und Schreiben. Demgegenüber sind inneres Denken, persönliches und allgemeines Wissen nicht oder nur gering gestört.
Aphasie ist eine Sprachstörung, keine Denkstörung.
Aphasiker leiden oft unter Begleitsymptomen: Die Planung von Bewegungen und Handlungen gelingt nicht mehr automatisiert; alltägliche Tätigkeiten bei der Körperpflege, beim Essen oder im Haushalt geraten durcheinander. Die Aufmerksamkeit ist eingeschränkt; die Patienten können sich nur mehr auf eine Sache konzentrieren, mehrere Dinge gleichzeitig führen leicht zur Überforderung. Zudem beeinträchtigt die Gehirnschädigung die Motorik; Lähmungen und Störungen der vegetativen Funktionen sind nicht selten.
Der Verlust und die Störung der eigenen Muttersprache ist seelisch schwer zu verarbeiten. Viele Patienten werden depressiv und verzweifelt, manchmal auch aggressiv. Für die Angehörigen und Freunde ist es schwierig, sich an die veränderte Situation anzupassen. Die Kommunikation mit aphasischen Patienten erfordert Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen. Daher ist soziale Einsamkeit oft eine Folge von Aphasie.
Aphasie hat nichts mit geistiger oder psychischer Störung zu tun!
Je nach Art und Ausmaß der Aphasie sind die Fähigkeiten für schnelles, vollständiges und genaues Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben in unterschiedlicher Weise betroffen. Das Sprechen ist bei allen Patienten gestört. Ein Teil der Betroffenen spricht mühevoll, sucht oft erfolglos nach Wörtern oder bildet Sätze im Telegrammstil. Andere sprechen flüssig, verwechseln aber Laute oder vertauschen Wortbedeutungen. Den Betroffenen ist dies am Anfang nicht bewusst. Sie denken geordnet, aber sie sprechen „durcheinander“.
Störungen des Sprachverstehens
Auch das Verstehen kann unterschiedlich betroffen sein. Im Extremfall nimmt der Betroffene Wörter nur dem Klang nach wahr, ohne deren Bedeutung zu erfassen. Andere verstehen zwar einzelne Wörter, aber nicht deren genaue Zusammenhänge in Satz und Text. Ähnliche Wörter werden oft verwechselt. Dies beruht nicht auf einer Hörstörung, sondern die Patienten verstehen das Gesagte nicht richtig, ähnlich wie ein Besucher in einem fremden Land.
Störungen der Schriftsprache
Bei vielen Patienten sind Schreiben und Lesen ähnlich gestört wie Sprechen und Verstehen. Manche Patienten können Wörter nur mühsam Buchstabe für Buchstabe erfassen, andere wiederum erfassen die Worte als Ganzes, was aber meist nur bei vertrautem Wortschatz gelingt. Aphasiker verwechseln Wortbedeutungen und Wortformen und bemerken dies oft nicht.
Es gibt vier verschiedene Arten von Aphasie:
Globale Aphasie
Die globale Aphasie ist die schwerste aphasische Störung. Eine sprachliche Verständigung mit dem Betroffenen ist kaum oder gar nicht mehr möglich. Spontansprache und Sprachverständnis, Lesen und Schreiben sind schwer beeinträchtigt. Der Patient kann nur Teile von Worten vorbringen und versteht – wenn überhaupt – nur sehr einfache Aufforderungen. Viele globale Aphasiker benutzen oft sinnlose Silben, die sich in immer wiederkehrenden Äußerungen wie z.B. „tatatata“ oder „dudududu“ äußern. Andere gebrauchen automatisierte Floskeln, wie „na ja“, „oh, Gott“ oder „ja, ja“, die oft ohne Bezug im Gespräch eingesetzt werden.
Broca-Aphasie (motorische Aphasie)
Bei einer Broca-Aphasie sprechen die Betroffenen meist mühsam und stockend, mit vielen Sprechpausen. Die Wörter haben viele Lautverwechslungen, die Sätze sind unvollständig. Die Sprache ist grammatikalisch entstellt, der Satzbau erinnert an den Stil von Telegrammen. Dies nennt man Agrammatismus. Das Sprachverständnis ist häufig weniger stark gestört. Lesen oder Schreiben ist dem Betroffenen möglich, zeigen aber häufig die gleichen Störungen wie die Sprache.
Wernicke-Aphasie
Hier steht die Störung des Sprachverständnisses im Vordergrund. Die Patienten können Gesprochenes meist nur teilweise verstehen, beim Sprechen kommt es zu Wort- und Lautverwechslungen und falschem, verschachteltem Satzbau. Vielen Patienten gelingt es nicht, ihre Gedanken sprachlich eindeutig mitzuteilen. Ihr Redefluss ist überschießend und wirkt inhaltlich durcheinander. Manchmal besteht die Sprache aus unverständlichem Kauderwelsch oder aus inhaltsarmem Jargon.
Amnestische Aphasie
Kennzeichen der amnestischen Aphasie sind Wortfindungsstörungen. Das Sprachverständnis ist gut erhalten, auch Lesen und Schreiben sind kaum beeinträchtigt. Die Spontansprache ist gut, erscheint nur manchmal durch die Wortfindungsstörungen etwas zögernd.
Die Patienten und ihre Angehörigen beobachten neben den sprachlichen auch psychologische Leistungseinbußen. Diese können folgende Fähigkeiten betreffen:
- Konzentration und Aufmerksamkeit
- Gedächtnis
- Hören und Sehen
- Ausführen von Bewegungs- und Handlungsfolgen
- Räumliche Orientierung und Rechnen
- Gefühlsleben